Die japanische Kultur ist für ihre Lebensweisheiten und Theorien weltweit bekannt. Insbesondere die Bewohner der Insel Okinawa zählen zu den glücklichsten, gesündesten und ältesten Menschen der Welt. Der Grund ihres Glückes, ihrer Freude und ihrer Gesundheit? Ikigai. Eine Lebensphilosophie für mehr Lebensqualität, Erfüllung und Zufriedenheit.
In diesem Artikel klären wir die Bedeutung des Begriffs „Ikigai“ und erläutern, wie sich die japanische Philosophie auf das Leben eines jeden Einzelnen übertragen lässt.
- Was bedeutet das japanische „Ikigai“?
- Ikigai Modell
- 1: Leidenschaft (Passion) – Leitfrage: „Was liebe ich?“
- 2: Aufgabe (Mission) – Leitfrage: „Was braucht die Welt?“
- 3: Berufung (Vocation) – Leitfrage: „Worin bin ich gut?“
- 4: Beruf (Profession) – Leitfrage: „Womit kann ich mein Geld verdienen?“
- Wie wird das Ikigai Modell angewandt?
- Vorteile des Ikigai Modells und Fazit
Was bedeutet das japanische „Ikigai“?
Ikigai beschreibt ein grundlegendes, bis ins 14. Jahrhundert zurück verfolgbares, Lebensverständnis der japanischen Kultur. Das Wort „Ikigai“ stammt dementsprechend aus dem Japanischen und setzt sich aus den Wörtern „iki“ (=„Leben“) und „gai“ (=„Wert“) zusammen. Übersetzt werden kann es also mit „Wert des Lebens“ oder „Das, wofür es sich zu leben lohnt“. Auf der Insel Okinawa gibt es z. B. kein Wort für „Rente“ oder „Rentner“. Hier beschreibt Ikigai „Das, wofür es sich morgens lohnt, aufzustehen“. Auf Okinawa hält man sich an dieses Prinzip, und zwar bis ins hohe Alter. Die Menschen bleiben aktiv, aber ohne Stress.
Ziel des Prinzips ist es also, den eigenen Lebenssinn zu finden, das heißt, sich selbst zu reflektieren, um so herauszufinden, was elementar für das persönliche Glück ist, im besten Fall losgelöst von sämtlichen materiellen Gütern. Durch entsprechende Reflexion kann nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Lebenserwartung maßgeblich gesteigert werden. Das Leben an und für sich wird einfach lebenswerter. Dabei bezieht sich das Ikigai Verständnis nicht nur auf das Berufliche, sondern auf sämtliche Facetten des Lebens, also auch auf die Familie und den Freundeskreis. Die japanische Psychologin Kamiya Mieko, die heute als eine der bekanntesten Forscherinnen des Ikigai Verständnisses gilt, betont, dass der Zustand des vollständigen Ikigai etwas vollkommen Individuelles ist und dementsprechend bei jedem Menschen unterschiedlich aussehen und in verschiedenen Lebensbereichen auftreten kann.
Ikigai Modell
Das Ikigai Modell lässt sich in vier Themenkomplexe oder Kernelemente unterteilen, die sich sowohl auf berufliche als auch auf private Kontexte übertragen lassen:
- Leidenschaft
- Aufgabe
- Berufung
- Beruf
Im Folgenden gehen wir diese Elemente und die jeweils dahinterstehenden Ideen der Reihe nach durch:
1: Leidenschaft (Passion) – Leitfrage: „Was liebe ich?“
Was kannst du stundenlang tun, ohne müde zu werden? Insbesondere auf beruflicher Ebene, träumen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon, ihre Leidenschaft zum Job zu machen. Doch auch im persönlichen oder familiären Umfeld spielt für immer mehr Menschen die Frage nach der eigenen Leidenschaft und der eigenen Euphorie eine zunehmende Rolle. Um die eigene Passion zu untersuchen, können sich anhand des Ikigai Modells folgende Fragen gestellt werden:
- Was weckt meine Begeisterung?
- Was macht mir so richtig Spaß?
- Was erweckt in mir immer ein gutes Gefühl?
- Wobei wird mir nie langweilig?
- Bei welchen Aktivitäten vergesse ich die Zeit und habe ein Flow-Gefühl?
- Worüber rede ich am häufigsten? / Worüber könnte ich stundenlang euphorisch berichten?
- Welche Leidenschaft habe ich seit vielen Jahren?
- Was habe ich bereits als Kind gerne getan?
- Was würde ich am liebsten den ganzen Tag machen, würden Geld und Verpflichtungen keine Rolle spielen?
- …
2: Aufgabe (Mission) – Leitfrage: „Was braucht die Welt?“
Dieser Bereich des Ikigai setzt sich mit dem Aspekt auseinander, was die Welt von einem selbst braucht. Es geht darum, sich als Mensch gebraucht zu fühlen und um die Werte und Ideale der einzelnen Individuen. Darum, was ihnen ganz besonders am Herzen liegt. Für den Einen kann das die Fürsorge sein, für den Anderen ein politisches Engagement und für den nächsten eine sinnvolle berufliche Tätigkeit:
- Welche Werte vertrete ich?
- Wofür möchte ich mich einsetzten?
- Welche grundlegenden, gesellschaftlichen Probleme möchte ich lösen?
- Was will ich hinterlassen?
- Was würde ich in der Welt gerne ändern?
- …
3: Berufung (Vocation) – Leitfrage: „Worin bin ich gut?“
Als Individuum haben wir nicht die Möglichkeit, alle Missstände und Probleme der Welt selbst zu lösen. Die Reflexion der eigenen Fähigkeiten und Leistungspotenziale kann aber dabei helfen zu differenzieren, was wir verändern können.
Wenn die eigene Selbsteinschätzung schwerfällt, kann es helfen, Freunde oder Kollegen einzubeziehen, die unsere Talente und Stärken oft bewusster wahrnehmen als wir selbst.
- Worin bin ich richtig gut? Worin liegen meine Talente und Stärken?
- Was kann ich besser als die meisten anderen?
- Welche Eigenschaften bewundern andere an mir?
- Was fällt mir besonders leicht?
- Welche Kompetenzen konnte ich immer schnell lernen?
- Wofür bin ich ausgebildet?
- …
4: Beruf (Profession) – Leitfrage: „Womit kann ich mein Geld verdienen?“
Im besten Fall sind die Überschneidungen zwischen Berufung und Beruf verhältnismäßig groß. In vielen Fällen ergibt sich das schon fast wie von selbst, denn darin, was wir regelmäßig tun, sind wir oft auch besonders gut. Wenn wir also unsere Berufung zum Beruf machen können, dann haben wir ein gesichertes Einkommen durch etwas, was uns Freude bereitet. Und das führt, lt. Ikigai, zu einem sinnvollen und erfüllten Leben. Fragen des Ikigai Modells im Zusammenhang der Arbeit sind zum Beispiel:
- Womit verdiene ich mein Geld?
- Welche anderen Einnahmequellen habe ich noch?
- Mit welcher Fähigkeit kann ich Geld verdienen?
- Wo tut sich eventuell eine Marktlücke auf?
- …
Um nun also das ganz eigene Ikigai zu erreichen, müssen alle vier Schichten (die Kernelemente) untersucht, hinterfragt und reflektiert werden. Ist dies abgeschlossen, so ergeben sich im Optimalfall Schnittmengen der vier Bereiche. Stehen die einzelnen Punkte in einem balancierten Verhältnis zueinander, so ist das Ikigai erreicht, denn dann stehen die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Talente in Einklang mit dem, was die Welt von dir braucht und wofür man dich bezahlt.
Wie wird das Ikigai Modell angewandt?
Der wichtigste Punkt in der Anwendung des Ikigai Mindsets ist: Geduld. Sein individuelles Ikigai, den Sinn seines Lebens, erreicht man nicht von heute auf Morgen, es handelt sich viel eher um einen lebenslangen Prozess, der durch ständige Reflexion sowie ein immer wiederkehrendes Hinterfragen das Ikigai formt.
Der erste Schritt zum Ikigai ist allerdings die Beantwortung der obigen Fragen. Dafür sollte man sich ausreichend Zeit nehmen und versuchen, die Fragen in aller Ruhe und Ausführlichkeit zu beantworten. Dabei gilt: Je genauer die Selbstreflexion, desto näher kommen sie dem Idealzustand. In vielen Fällen zahlt es sich außerdem aus, wenn man sich mit anderen Menschen zusammentut. Freunde, Familienmitglieder und Kollegen können dabei nicht nur die Selbstreflexion unterstützen, sondern auch als Motivatoren, Ansprechpartner oder Berater fungieren.
Neben der vollkommen individuellen Reflexion gibt das Ikigai Modell allerdings einige allgemeine Ratschläge zur alltäglichen Umsetzung:
- Vermeide Stress, so gut es geht: Hektik und Unsicherheiten vermindern die Lebensqualität. Versuche deshalb, in stressvollen Situationen Ruhe zu bewahren und dich bewusst auf deine Wahrnehmung zu fokussieren.
- Nimm dir Zeit für deine Träume: Wir alle verfallen schnell in einen gewissen Alltagstrott. Versuche deshalb, dir immer wieder bewusst vor Augen zu führen, was deine Ziele sind, was dich glücklich macht und dich erfüllt.
- Sei dankbar für kleine Dinge: Insbesondere im Alltag ist ein Bewusstsein für die kleinen Dinge maßgeblich. Nimm dir Zeit, um dein Umfeld zu reflektieren, und mach dir all die Dinge bewusst, für die du dankbar sein kannst.
- Bleibe aktiv: Damit ist nicht nur die körperliche Aktivität gemeint, sondern man sollte vor allem dem nachgehen, was man liebt und was einen erfüllt. Ob das die eigene Weiterbildung, körperliche Betätigung oder soziales Engagement ist, ist dabei vollkommen egal.
- Umgib dich mit Menschen, die dir guttun: Für unser Glück und unsere Zufriedenheit ist unser direktes Umfeld von großer Bedeutung, weshalb es so wichtig ist, sich mit Menschen zu umgeben, die einem guttun, einen aber gleichermaßen zum Wachsen bringen.
- Verbringe Zeit in der Natur: Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Natur nicht nur eine positive, sondern tatsächlich eine heilende Wirkung auf uns Menschen hat.
- Bleibe neugierig und wachsam: Im Rahmen des Ikigai Mindsets ist jeder Tag gleichermaßen von Bedeutung. Versuche daher nicht, in der Vergangenheit zu schwelgen oder die Zukunft zu planen, sondern versuche, im Hier und Jetzt zu leben und jeden Moment dankbar anzunehmen.
Anwendung von Ikigai im Alltag
Das Ikigai Prinzip kann in sämtlichen Lebensbereichen angewandt werden. Es ist insbesondere dann sinnvoll, wenn eine Reflexion über die eigenen Ziele erfolgen soll. Mögliche Anwendungsbereiche sind:
- Berufswahl: Wie bereits erläutert, kann das Ikigai Konzept maßgeblich zu einer systematischen Berufswahl beitragen, indem die eigenen Interessen mit Fähigkeiten, Talenten und weltlichen Ansprüchen in Verbindung gesetzt werden.
- Burnout: Psychische oder physische Erkrankungen können genauso wie Sinnkrisen dazu führen, dass der eigene Lebensstil, sowohl privat als auch beruflich, reflektiert und gegebenenfalls umstrukturiert werden muss. Entsprechende Veränderung kann anhand des Ikigai Konzeptes angeregt werden.
- Umbruchsituationen: Nicht nur Erkrankungen, sondern auch viele weitere Situationen im Leben können dazu führen, dass ein Umdenken nötig wird. So kann das Modell im beruflichen Kontext beispielsweise bei einer Kündigung oder einer beruflichen Neuorientierung, oder im privaten Kontext bei der Aufnahme eines neuen Hobbies oder der Möglichkeit eines Umzugs Anwendung finden.
- Potenzialanalyse: Bei der Potenzialanalyse geht es darum, das eigene Potenzial zu untersuchen. Auch hierbei können die Fragen des Ikigai helfen.
- Unternehmensgründung: Entscheiden sich eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer für den Weg in die Selbstständigkeit, so kann auch hierbei das Ikigai Konzept einbezogen werden. So kann man zum einen reflektieren, ob eine Unternehmensgründung der beruflich richtige nächste Schritt ist, zum anderen können aber auch konkrete Gründungsideen festgelegt werden, anhand derer im nächsten Schritt konkrete Unternehmenswerte und -richtlinien definiert werden können. Ferner kann Ikigai auch dabei helfen herauszufinden, welche Produkte und Dienstleistungen angeboten werden sollten, damit nicht nur die Kundschaft, sondern auch du selbst damit zufriedengestellt wirst.
Vorteile des Ikigai Modells und Fazit
Ikigai kann auf fast jeden Lebensbereich einen positiven Einfluss nehmen und das Leben so lebenswerter machen. Hier nochmal ein Überblick sämtlicher Vorteile:
- Ikigai trägt maßgeblich zur Selbstverwirklichung bei und steigert dadurch nicht nur die generelle Zufriedenheit, sondern auch die Lebensqualität
- Ikigai kann also zu einem erfüllten Leben beitragen
- Ikigai kann dazu beitragen, dass die individuellen Fähigkeiten und Talente sinnstiftend und lebensbereichernd eingesetzt werden
- Ikigai kann die eigene Lebensfreude vervielfachen
- Ikigai kann zur Verbesserung des allgemeinen Gemüts- und Gesundheitszustands beitragen
- Mittels des Ikigai Konzeptes können individuell angepasste Geschäftsmodelle entwickelt werden, die vollkommen an die Bedürfnisse des eigenen Lebens angepasst sind.